UNSERE GESCHICHTE
Meenu Hodiwalla, Präsidentin des Vereins, erzählt die Geschichte (oder: Lebenserfahrung) ihrer Familie seit der Geburt ihres Sohnes:
Er war erst ein paar Wochen alt, als uns auffiel, dass Ruzbeh, unser Sohn, uns nicht ansah, sein Blick sich nicht auf Gegenstände richtete. Zwei Monate voller hektischer Konsultationen mit Spezialisten vergingen, bis wir schließlich einen Augenarzt fanden, der den Grund für Ruzbehs Blindheit kannte. Der Arzt war überzeugt, dass Ruzbeh mit der seltenen genetischen Erkrankung namens Norrie-Krankheit geboren wurde, durch die seine Netzhaut abgelöst war – irreversibel. Diese Nachricht traf mich wie ein Schlag. Ich brach in Tränen aus.
Später bestätigte ein Bluttest, dass Ruzbeh tatsächlich mit Norrie-Krankheit geboren wurde. Ich konnte nicht begreifen, wie das möglich war, da es keine bekannten genetischen Erkrankungen in unserer Familie gab. Erst später lernte ich, dass ich Träger bin.
Ich versuchte, mich vom Schmerz abzulenken, indem ich mich um Ruzbeh kümmerte. Ich las Bücher darüber, wie man ein blindes Kind aufzieht. Ich dachte, mit der richtigen Bildung könnte Ruzbeh ein selbstständiges Leben führen.
Doch mir war nicht bewusst, dass seine Blindheit noch das geringste seiner Probleme sein würde.
Als Ruzbeh zwei Jahre alt war, zogen wir von Neu-Delhi nach Genf. Er sprach noch immer nicht, was uns Sorgen bereitete. Nach vielen Therapiesitzungen und Beobachtungen teilten uns die Therapeuten schließlich mit, dass Ruzbeh im Autismus-Spektrum liegt. [Bis zu 50 % der Norrie-Krankheit-Patienten weisen Autismus, kognitive Beeinträchtigungen und Anfälle auf.] Glücklicherweise begann er ein paar Monate später zu sprechen, aber sein Verhalten ist weiterhin stark autistisch, was eine ständige Betreuung erfordert.
[ Jetzt, da Ruzbeh erwachsen ist, sind einige seiner autistischen Merkmale: Schwierigkeiten beim Umgang mit negativen Emotionen (wie Frustration), was zu Schreiattacken, Brüllen und Kopfschlagen führt, sehr hohe Angstzustände, Schlafstörungen, schnelles, ununterbrochenes und sich wiederholendes Sprechen und dazu, dass wir alles wiederholen, was er sagt. ]
Unsere Hoffnung, ihn in eine Schule für Sehbehinderte einzuschulen, zerbrach. Diese Schulen waren nicht auf ein blindes und autistisches Kind vorbereitet und lehnten die Aufnahme ab. So blieb uns nur die Anmeldung in einer Schule für geistig behinderte Kinder. Die Lehrer bemühten sich, ihre Aktivitäten an ein blindes Kind anzupassen, doch es zerbrach mir das Herz, wenn andere Kinder Ruzbeh an den Haaren zogen oder ihn kratzten – er konnte ihre Bewegungen nicht voraussehen und sich nicht verteidigen.
Auch außerschulische Aktivitäten zu finden, die sowohl Blindheit als auch Autismus berücksichtigten, war extrem schwierig.
Doch das war noch nicht das Ende des Albtraums, der Norrie-Krankheit heißt.
Wir hatten gelesen, dass Norrie-Krankheit-Patienten unter fortschreitendem Hörverlust leiden. Im Laufe der Zeit verlieren sie ihr Gehör vollständig. Ruzbeh war 12 Jahre alt, als bei ihm ein leichter Hörverlust festgestellt wurde, der sich seitdem verschlechtert hat.
Da er autistisch ist, trägt er seine Hörgeräte nur selten.
Patienten mit Norrie-Syndrom berichten außerdem von plötzlichen Hörverlusten. Dies ist sehr beunruhigend, weil sie plötzlich auf einem Ohr schlechter oder gar nichts mehr hören. Hinzu kommen oft Druckgefühle im Ohr oder Tinnitus – Pfeifen oder Klingeln. Ich weiß, dass Ruzbeh unter plötzlichen Hörverlusten leidet, wenn er über ein verstopftes Ohr klagt und sehr unruhig wirkt. Wenn das Unbehagen anhält, schlägt er sich vor Frust den Kopf – ein typisches Merkmal von Autismus ist die Schwierigkeit, mit starken Emotionen umzugehen – bis der Zustand sich bessert. Ich fühle mich dann so hilflos.
Wir leben in ständiger Angst – vor dem Tag, an dem Ruzbeh gar nichts mehr hören kann. Ohne sein Gehör wäre er in der Welt völlig orientierungslos.
Im Laufe der Jahre habe ich Kontakt zu anderen Eltern von Norrie-Krankheit-Kindern aufgenommen, und ihre Geschichten ähneln unseren.
Dank der Bemühungen einiger Eltern wird weiterhin nach Ursachen für Hörverlust geforscht. Aber es gibt noch viel zu tun. Die Forschung zum Hörverlust hat zwar vielversprechende Ergebnisse für junge Patienten gezeigt, aber wir wissen nicht, ob diese Ergebnisse auch auf Erwachsene übertragbar sind. Wir müssen auch nach einer Behandlung für die mit Norrie-Krankheit verbundenen Symptome im Gehirn suchen. Aus diesem Grund habe ich diesen Verein gegründet, der als gemeinnützige Einrichtung gesetzlich anerkannt ist. Ich weiß, dass es sehr schwierig ist, Mittel für die Erforschung seltener Krankheiten zu beschaffen, da die Patientengemeinschaft sehr klein ist, aber ich weigere mich, aufzugeben.
Derzeit lebt Ruzbeh im Centre des Marmettes, einer Einrichtung für taubblinde Menschen, die von der FRSA (Fondation Romande SourdAveugles – Stiftung für Taubblinde in der französische Schweiz) in Monthey, Wallis.
Wir haben großes Glück, diesen Platz gefunden zu haben, da er perfekt auf die doppelte sensorische Beeinträchtigung (Blindheit und Hörverlust) zugeschnitten ist und die nötige Struktur für autistische Menschen bietet.
Er lernt Braille lesen und schreiben.
Er hat ein außergewöhnliches Gedächtnis. Er liebt Musik und spielt gerne Klavier.
Zu seinen Lieblingsaktivitäten gehören Bowling, Karaoke, Reiten, Skifahren, Schneeschuhwandern und Spaziergänge in den Bergen.